sábado, 24 de agosto de 2013

Cholera-Alarm aus USA

Washington wirft Havanna vor, den Ausbruch einer möglichen Epidemie zu vertuschen. Was wirklich los ist

Von Volker Hermsdorf, Havanna
Hände desinfizieren – Prävention an einer Bussta
Hände desinfizieren – Prävention an einer Busstation zur Verhinderung einer Cholera-Epidemie (Havanna, 15. 1,2013)
Ich habe eine schlechte Nachricht: deine Nieren funktionieren nicht mehr. Bist du mit einer Dialysebehandlung einverstanden?« fragt mich Dr. Reinaldo Menendez bei der Visite und jagt mir damit einen gewaltigen Schreck ein. Menendez ist Professor für Innere Medizin, Spezialist für Tropenkrankheiten und einer der leitenden Ärzte des »Instituts für Tropenmedizin Pedro Kourí« (IPK) in Havanna, in das ich Anfang August mit einer Cholera-infektion eingeliefert worden war.

»Mach dir keine Gedanken«, beruhigt mich der Arzt nach einem Blick in mein besorgtes Gesicht. »Die Dialyse kostet zwar 100 CUC pro Behandlung (ungefähr 75 Euro, V.H.) aber wenn du kein Geld hast, behandeln wir Dich auch. In Kuba wird niemandem, der arm ist, Hilfe verweigert.« Meine Sorge hatte allerdings mehr dem akuten Nierenversagen als den Kosten der Behandlung gegolten, die nur einen Bruchteil dessen ausmacht, was vergleichbare Leistungen in Deutschland kosten, eine Dialyse zum Beispiel zwischen 300 und 500 Euro. Außerdem hatte ich die seit dem 1. Mai 2010 für Kuba-Reisen obligatorische Reiseversicherung abgeschlossen. Für die in Kuba lebenden Bürger sind alle Gesundheitsleistungen ohnehin kostenfrei.

Am Dialysegerät

Wenige Stunden nach der Visite hänge ich zum ersten Mal an einem Dialysegerät, mit dessen Hilfe die kubanischen Ärzte jetzt mein Leben – wie zuvor das von zahlreichen anderen einheimischen und ausländischen Patienten mit akutem oder chronischem Nierenversagen – retten. Wie sie verdanke ich meine Rettung dem Umstand, daß die US-Blockade gegen Kuba in der Praxis nicht überall wirklich durchgesetzt werden kann. Sonst würden diese Geräte hier nicht zur Verfügung stehen. Ich denke daran, daß andere weniger Glück haben. Etliche krebskranke Kinder zum Beispiel, die nicht behandelt werden können, weil das einzig wirksame Medikament – Temodal – US-Patenten unterliegt und wegen der Blockade nicht nach Kuba exportiert werden darf. Während der Blutwäsche gehen mir auch die Ereignisse der letzten Tage durch den Kopf.

Zwei Tage zuvor war ich nach heftigen Brechdurchfällen dehydriert und zusammengebrochen. Nach Erstversorgung und Infusionen im Krankenhaus Cira Garcia im Stadtteil Playa war ich mit der Notfallambulanz ins IPK im Stadtteil La Lisa am Rand von Havanna überführt worden. Das 1937 gegründete Forschungs- und Gesundheitszentrum gilt als eine der weltweit bedeutendsten Einrichtungen der Tropenmedizin und verfügt über 170 Betten für kubanische und ausländische Patienten. Der aufnehmende Arzt, der – wie mir eine Krankenschwester erzählt – erst kürzlich von einer längeren medizinischen Mission aus Afrika zurückgekehrt war, sagt nach kurzer Untersuchung: »Ich will dich nicht beunruhigen, aber ich fürchte du hast Cholera.« Ein Labortest bestätigt den Verdacht. Als Ursache wurde später der Verzehr von nicht ausreichend gegarten Meeresfrüchten ausgemacht. Auch meine Frau – bei der trotz schwächerer Symptome ebenfalls ein Test durchgeführt wird – hat es erwischt. Zum Glück ist sie nach Einnahme des Antibiotikums Doxycyclin ohne weitere Komplikationen nach wenigen Tagen auskuriert.

Cholera, neben der Pest die gefürchtetste Geißel früherer Jahrhunderte, galt in Kuba seit der letzten großen Epidemie im Jahr 1882 als besiegt. In Lateinamerika erkrankten 1991 über 400000 Menschen in einer Epidemie, die Peru, Mexiko, Kolumbien, Ecuador und Nicaragua traf, 12000 überlebten die Krankheit nicht. Seit dem schweren Erdbeben im Jahr 2010 infizierten sich in Haiti bisher 669654 Menschen mit dem Bakterium Vibrio cholerae, mehr als 8200 verstarben bereits daran. In der benachbarten Dominikanischen Republik gibt es über 30000 Cholerafälle und 454 Todesopfer. Mit Tausenden Ärzten und Krankenschwestern stellt Kuba seit 2010 das größte Kontingent an medizinischen Helfern in Haiti bereit. Ärzte, Schwestern und Pfleger des IPK beteiligen sich in großer Zahl an den Missionen in Haiti, Afrika, Zentralamerika und anderen Regionen.

Aus Haiti wurde der Erreger 2012 wieder nach Kuba eingeschleppt. Im Juni letzten Jahres traten – erstmals seit 130 Jahren – wieder Cholerafälle auf, zunächst im Osten der Insel, später auch in der Hauptstadt Havanna. Das Gesundheitsministerium berichtete von 417 Infizierten und drei Todesfällen. Im Januar 2013 informierte die Tageszeitung Granma über 51 Fälle, die alle ausgeheilt werden konnten.

Aus den USA bezahlte »unabhängige Journalisten« nutzen das erneute Auftreten der Infektionskrankheit regelmäßig zur Verbreitung von Horrormeldungen, sprechen teilweise von Tausenden Krankheitsfällen und Dutzenden Toten. Das von der US-Interessenvertretung in Havanna (SINA) finanzierte und angeleitete Internetportal Hablemos Press zitierte im letzten Jahr zum Beispiel eine angebliche Krankenschwester aus Santiago de Cuba, die von einer »massenhaften Ausbreitung des Choleravirus« fabulierte. Offenbar hatte der Betreuer in der SINA übersehen, daß es sich bei der Cholera um eine bakterielle Infektion handelt. Obwohl sie für ihre Behauptungen weder Belege noch Quellen oder echte Zeugen angeben können, werden die Meldungen der »Dissidenten« von westlichen Medien oft ungeprüft übernommen.

Da Kuba über lange Zeit cholerafrei war, hatten viele Ärzte bis zum vergangenen Jahr keine eigenen Erfahrungen im Umgang mit der Krankheit. Ausgerechnet die medizinischen »Missionare«, von denen vermutlich einige das Bakterium aus Haiti mit ins Land brachten, erweisen sich jetzt als Segen, denn sie kennen Symptome und Stadien der Krankheit aus ihren solidarischen Einsätzen bei den Ärmsten der Armen in der Welt und wissen, mit welchen Maßnahmen eine weitere Verbreitung wirkungsvoll eingedämmt werden kann. Wie schnell und effizient das System – zumindest in Havanna – funktioniert, erlebten wir mit staunen.

Ausbreitung verhindern

Wenige Stunden nach der Diagnose stellt sich eine Mitarbeiterin vom Gesundheitsamt des Municipio vor und arbeitet mit uns einen umfangreichen Fragebogen durch: Wo wir in den letzten Tagen waren, wo und was wir gegessen haben, mit wem wir Kontakt hatten, will sie unter anderem wissen. Von Nachbarn erfahren wir später, daß noch am gleichen Abend ein Kleinbus des IPK am Wohnort meiner Schwiegermutter im Arbeiterviertel Mantilla anrückte und – in Begleitung des Direktors der dortigen Poliklinik – sämtliche Bewohner der benachbarten Häuser auf Symptome untersucht, vorbeugende Medikamente verteilt und die hygienischen Bedingungen geprüft hat. Auch die Bewohner eines Hochhauses in Vedado, in dem wir für einige Tage eine Wohnung angemietet hatten, wurden komplett durchgecheckt. Ein von uns bewohntes Hotelzimmer wird desinfiziert und versiegelt und das Restaurant, in dem wir uns das Bakterium eingefangen haben, für über eine Woche geschlossen.

Am zweiten Tag meiner Hämodialyse schließt Dr. Olga Castaño, die ebenso kompetente wie resolute Nephrologin (Nierenspezialistin), mich an das mittlere der drei Geräte an. Rechts von mir liegt Francisco, ein Rentner aus Mexiko, der seinen Lebensabend in Havanna verbringt, weil er Bandenkriege, Polizeiterror und Gewalt in seinem Land nicht mehr erträgt. Auf der anderen Seite wird der 70jährige schwarze Machetero (Zuckerrohrschläger) Luis versorgt. Der hagere, von Arbeit, Rum und ausschweifendem Leben gezeichnete Mann, der als 15jähriger Botendienste für die Guerilla erledigt hatte, fragt mich nuschelnd, zwischen den ihm verbliebenen Zähnen, ob ich das Buch »Hundert Jahre Einsamkeit« kenne. »Das ist schwer, aber es beschreibt die Geschichte unseres Kontinents sehr gut«, sagt Luis, der mir außerdem stolz erzählt, daß er einer der Ersten war, die in der Alphabetisierungskampagne nach dem Sieg der Revolution Lesen und Schreiben gelernt hatten.

Nach einer Woche – uns geht es mittlerweile deutlich besser – kommt Dr. Menendez gleich mit zwei guten Nachrichten: »Deine Nieren arbeiten wieder, und der letzte Choleratest war negativ«, sagt er. »Morgen dürft ihr gehen.«.

Zehn Tage später blättert unsere Hausärztin in Hamburg die Befunde und Dokumentation des IPK durch. »Mehr kann man medizinisch nicht machen«, sagt sie anerkennend und attestiert ihren kubanischen Kollegen höchste Professionalität.

Am Mittwoch dieser Woche kontaktiert uns eine Mitarbeiterin der Hamburger Gesundheitsbehörde. Das IPK und die kubanischen Behörden hätten die im August aufgetretenen Cholera-Erkrankungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und deren Tochter, der Panamerikanischen Gesundheitsorganisation (OPS) gemeldet, die wiederum die zuständigen Stellen in den jeweiligen Ländern informiert haben, sagt sie. Wir seien bisher die einzigen Betroffenen aus Deutschland. Ansonsten sei von der kubanischen Seite her alles so gelaufen, wie es die internationalen Vereinbarungen vorsehen.

Trotzdem wirft das Sprachrohr der rechten Exilkubanergruppen in Miami, El Nuevo Herald, der Regierung in Havanna in einer am gleichen Tag gestarteten Kampagne vor, die Cholerafälle zu vertuschen. Als Quelle für die Anschuldigung werden wieder einmal die von der SINA bezahlten »unabhängigen Journalisten« (Periodistas independientes) genannt.

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